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Der deutsche Finanzminister und die griechische Krise


Adam Tooze, ein britischer Wirtschaftshistoriker, hat eine Rezension des Buches des ehemaligen griechischen Finanzministers Yannis Varoufakis geschrieben (Link). Hier ist ein Auszug:


To Varoufakis’s surprise, Germany’s elder statesman did not dwell on day-to-day affairs. Schäuble wanted to talk about more fundamental issues, particularly the cuts that Europe had to make to its welfare state for it to compete with India and China.


Varoufakis was ready with the standard progressive answer. If welfare costs are the issue, the obvious solution is to raise wages and welfare benefits in the emerging markets, such as those of India and China, not to lower those in the advanced economies. But Schäuble was unrelenting. As Helmut Kohl’s interior minister during reunification, he had had a hand in winding up the German Democratic Republic’s economy. If Western Europe did not make the necessary adjustment, Schäuble opined, it would follow the Communist Eastern bloc into oblivion.


Once again Varoufakis had a quick comeback. To compare Greece’s welfare state with communism was tendentious. The democratic socialists of Syriza had as much in common with the GDR as Germany’s ruling Christian Democratic Party (CDP) did with General Pinochet’s dictatorship in Chile. Tired of arguing, Schäuble backed off, leaving Varoufakis to congratulate himself on having disposed of his opponent’s anachronistic views. In retrospect Varoufakis is so anxious to convince us that he won the argument that he fails to convey Schäuble’s message: restructuring first Germany and then Europe was a historic project that would not stop at the behest of a radical left-wing government in Greece.


Interessant ist hier, dass es laut Tooze bei der Griechenland-Krise gar nicht um Griechenland selbst ging. Es ging auch nicht um die deutschen Banken, die viele griechische Staatsanleihen hielten und von einem Bankrott sehr stark getroffen worden wären. Nein, es ging um den Rückbau des europäischen Wohlfahrtsstaates, um mit Indien und China im globalen Wettbewerb bestehen zu können!


Diese Schlussfolgerung überrascht zunächst. Allerdings könnte da etwas dran sein (was nicht heißt, dass es nicht auch um die deutschen Banken ging). Wenn die chinesischen und indischen Unternehmen auf dem Weltmarkt günstiger anbieten können als deutsche Unternehmen, dann - so dachten wohl Schäuble und seine Leute - müssen deutsche Unternehmen billiger werden. Am einfachsten wäre es, den Wohlfahrtsstaat zurückzubauen und dann die Unternehmen steuerlich zu entlasten.


Es gibt nur ein Problem mit dieser Strategie: die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen basiert zu einem großen Teil auf eben jenem Wohlfahrtsstaat! Die Produktivität ist bei uns so hoch nicht trotz des Wohlfahrtsstaates sondern gerade aufgrund dessen Existenz. Die Chinesen denken ja schon seit Jahren darüber nach, welche Teile unseres Wohlfahrtsstaates sie übernehmen wollen. Es ist daher wohl abstrus, dass Teile der europäischen und deutschen Politik dann ausgerechnet den Wohlfahrtsstaat als Hindernis für die Wettbewerbsfähigkeit sehen.

An dieser Stelle wird deutlich, welche eine destruktive Rolle falsche Wirtschaftstheorie spielen kann. Die Wettbewerbsfähigkeit der unterschiedlichen Länder der Weltwirtschaft hängt im Wesentlichen von ihren sozio-kulturellen Institutionen ab, und nicht - wie es an den Universitäten gelehrt wird - von Unterschieden der Faktorausstattungen oder der Produktivität der Unternehmen. 


Adam Tooze trägt übrigens heute Abend bei der American Academy in Berlin vor zum Thema "The 2008 Global Crisis: Approaches to a Future History". Das ganze wird hier live bei Facebook übertragen.

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