Angesichts der außerplanmäßigen Staatsausgaben zur Bewältigung der Coronakrise fragt der Spiegel, warum das Geld denn plötzlich so locker sitze und wo es herkomme. Durchaus relevante Fragen, die allerdings nicht korrekt aufgeklärt werden. Stattdessen werden weit verbreite ökonomische Irrtümer verfestigt.
Die Pandemie zwingt die Staaten dazu unkonventionelle Maßnahmen zu ergreifen. Selbst die Europäische Kommission unter Führung von Frau von der Leyen hat sich dazu durchgerungen, die sogenannte Maastricht-Kriterien für Staatsdefizite für die Zeit der Krisenbewältigung zu suspendieren. Die Europäische Zentralbank (EZB) wiederum hat mit der Auflage eines neuen Anleihekaufprogamms („PEPP“) ― nebst weiterer Maßnahmen ― dafür gesorgt, die Zinsaufschläge für Staatsanleihen der Mitgliedsländer zu kontrollieren und stabilisieren. Der Umfang des Programms ist zwar erst einmal auf 750 Milliarden Euro festgelegt, aber die EZB hat bereits deutlich gemacht, Umfang und andere Komponenten des Programms anzupassen, falls sie dies im weiteren Verlauf für nötig erachtet. Wer, wie der Spiegel, bestrebt ist, sich der Frage der Geldherkunft in der Eurozone zu widmen, kommt um die Berücksichtigung dieser institutionellen Gegebenheiten nicht herum ― sollte man meinen.
Wie der Autor des Artikels schreibt: „In diesem Jahr nimmt er [der Staat] neue Schulden von 156 Milliarden Euro auf. Dieses Geld besorgt sich die Bundesrepublik über Staatsanleihen bei Investoren – also zum Beispiel Banken und Versicherungen, aber auch normalen Kleinanlegern.“
Diese Beschreibung ist auf zwei Wegen irreführend. Zum einen verkennt sie, dass die Bundesrepublik Staatsanleihen auf dem Primärmarkt per Auktion an die sogenannte Bietergruppe, der gegenwärtig 36 von der Bundesbank lizenzierte Kreditinstitute angehören, verkauft werden. Kleinanleger können an diesen Auktionen nicht teilnehmen und Staatsanleihen höchstens auf dem Sekundärmarkt - dem Markt für "gebrauchte" Staatsanleihen - erwerben. Die Aussage, dass Staatsanleihen an Kleinanleger verkauft würden, ist also irreführend. Zum anderen gibt der Autor mit der Aussage, dass sich der Staat am Kapitalmarkt finanziere, nur eine unvollständige Antwort auf die Frage der Geldherkunft und bedient damit das fehlerhafte Narrativ, wonach sich ein Staat durch das Geld seiner Bürger „finanziere“ ― etwa durch Einnahme von Steuern oder durch das Leihen von Geld im Privatsektor. Um die Frage vollständig zu beantworten, muss aufgeklärt werden, mit welchem Geld die Banken die Staatsanleihen bezahlen und wo wiederum die Banken das Geld herbekommen. Die Antwort lautet, dass Banken Staatsanleihen mit Zentralbankgeld (auch Reserven genannt) kaufen. Dieses können die Banken aber nicht selbst erzeugen, denn dieses Privileg obliegt der Zentralbank.
In der Praxis ist es so, dass sich der Bankensektor gegen die Vorlage von Sicherheiten Zentralbankguthaben bei der Zentralbank leihen und damit die verauktionierten Anleihen kauft. Die Zentralbankguthaben der Bank „wandern“ ― bildlich gesprochen ―zum Finanzministerium.[1] Sobald das Finanzministerium dann die Ausgaben tätigt, etwa um Coronazuschüsse an KleinunternehmerInnen zu zahlen, „wandert“ das Zentralbankguthaben wieder zum Bankensektor, der dieses dann nutzt, um den vorher aufgenommenen Kredit bei der Zentralbank zu tilgen.
Das Zentralbankgeld, mit dem der Staat seine Ausgaben tätigt, kommt also ursprünglich immer und ausnahmslos von der Zentralbank ― in der Eurozone also von der EZB. Ob die Zentralbank dem Staat die Staatsanleihen direkt abkauft oder die Bietergruppe mit ausreichend Zentralbankguthaben versorgt und die Bietergruppe dann die Staatsanleihen kauft, ist funktional eher zweitrangig, denn in beiden Fällen bedarf es der Erzeugung von Zentralbankguthaben durch die selbige. Diese fundamentale Einsicht bleibt den Lesern des Artikels vom Spiegel leider verwehrt.
Kombiniert man diese Einsicht mit den eingangs beschriebenen Reaktionen auf die Krise durch die Europäischen Kommission (Suspendierung der Defizitgrenze) und die EZB (Zinsstabilisierung durch Anleihekaufprogramm), erschließt sich, warum „das Geld plötzlich so locker sitzt“. Die EU-Institutionen haben für die Euroländer die Ampel für Staatsausgaben auf Grün gestellt . So sollte es für ein funktionales Währungsregime sein. Da die Eurozone bereits vor der Pandemie massiv an Nachfragemangel litt und es zur Wiederbelebung der Wirtschaft staatliche Impulse benötigen wird, sollte mit Blick auf die Zukunft eine Verstetigung der Zinskontrolle durch die EZB und eine Reform der Defizitgrenzen diskutiert werden.
[1] Der Begriff „wandern“ ist hier aus pädagogischen Gründen gewählt, technisch allerdings nicht korrekt, da die Zentralbank lediglich das Konto der Bank reduziert und jenes des Finanzministeriums erhöht um den entsprechenden Betrag erhöht.
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