Ein Thema, welches immer wieder in der Presse auftaucht, ist der deutsche Überschuss in der Leistungsbilanz bzw. Handelsbilanz. Ein Problem ist meist, dass die abstrakten neoklassischen Modelle aus dem Lehrbuch wenig taugen, um damit die Realität zu verstehen. Eli Heckscher (Foto) war ein schwedischer Ökonom und einer der zwei Namensgeber des Heckscher-Ohlin Modells. Dies allerdings setzt voraus, dass die Leistungsbilanz der beiden betrachteten Ökonomien ausgeglichen ist: es wird genauso viel exportiert wie importiert. Theoretisch gehen auch Transfers von Gewinnen in die Leistungsbilanz ein, aber das Modell von Heckscher-Ohlin basiert auf der Annahme des Gütertausches. Wo kein Geld, da keine Gewinne!
Dies führt häufig dazu, dass Studierende der Ökonomie und auch solche, die sich außerhalb der Hochschulen mit der Ökonomie beschäftigen, gerne über die Frage der Leistungsbilanzungleichgewichte "stolpern". Ein solcher Artikel erschien letzte Woche in der FAZ. Er enthielt unter anderem folgenden Absatz:
Ist ein positiver Saldo zwingend günstig und ein negativer Saldo zwingend schlecht? Nicht unbedingt, sagen Wirtschaftsforscher. „Der große Leistungsbilanzüberschuss ist mit einem Kapitalexport, einem Abfluss von Ersparnis verbunden“, sagt Handelsexperte Gabriel Felbermayr vom Münchner Ifo-Institut. Deutschland hat hohe Nettoexporte, es gibt den Abnehmerländern gleich die nötige Finanzierung mit dazu, um die Güter zu kaufen. Die Kapitalexporte geschehen entweder per Direktinvestitionen von Unternehmen, die Fabriken aufbauen, sei es in China oder in Mexiko, oder als Portfolioinvestitionen, wenn deutsche Anleger Aktien oder Anleihen aus anderen Ländern erwerben.
Dieser Absatz enthält gleich mehrere Aussagen, die meiner Meinung nach klar falsch sind. Einige Aussagen sind unscharf. Beginnen wir mit der Aussage des Handelsexperten. "Der große Leistungsbilanzüberschuss ist mit einem Kapitalexport, einem Abfluss von Ersparnis verbunden", heißt es. Das ist unscharf, denn der Leistungsbilanzüberschuss erzeugt erzeugt zusätzliche Ersparnis. Zudem "fliesst" hier nichts - die Zahlungsbilanz ist eine rückwärtsgerichtete statistische Ermittlung. Was ist denn mit "Abfluss von Ersparnis" gemeint? Es klingt ja so, als hätten "wir" jetzt weniger Ersparnis als vorher. Dies ist aber nicht der Fall. Die Deutschen haben ja mehr exportiert als importiert. Damit haben sie mehr Zahlungen empfangen als geleistet. Die US-Amerikaner beispielsweise, die gegenüber ein Leistungsbilanzdefizit ausweisen, haben mehr gezahlt als empfangen. Wer mehr Zahlungen empfängt als leistet muss ein Netto-Sparer sein, denn makroökonomisch wird die Ersparnis als nicht (für Steuern und Konsum) verausgabtes Einkommen definiert. Zu jedem Netto-Sparer gehört, logisch, ein Netto-Entsparer. Einnahmen und Ausgaben btw. Zahlungen und Einzahlungen müssen sich ja global die Waage halten. Ein Einnahme hier ohne eine Ausgabe da gibt es nicht!
Der nächste Satz ist ein häufiger Irrtum: "Deutschland hat hohe Nettoexporte, es gibt den Abnehmerländern gleich die nötige Finanzierung mit dazu, um die Güter zu kaufen." Dies ist grundsätzlich falsch, denn wieder wird hier nicht verstanden, dass die Zahlungsbilanz eine Abbildung aller Geschäfte zwischen In- und Ausländern über eine Zeitperiode, meist ein Jahr, ist. Deutschland hat keine hohen Nettoexporte, um genau zu sein, es hat überhaupt keine Exporte! Es hat auch keine Importe, keine Nettoersparnis, usw. usf. - das Land ist hier kein Akteur. Wenn überhaupt, dann haben Deutsche oder Menschen, die in Deutschland leben, in der Summe einen Leistungsbilanzüberschuss. Wenn das so ist, dann gibt aber Deutschland (wer soll das jetzt sein - die Bundesregierung?) den Abnehmerländern nicht "die nötige Finanzierung mit". Warum sollte sie auch?
Ein Beispiel soll den Vorgang von Exporten erhellen. Angenommen, ein US-Amerikaner kauft ein in Deutschland gebautes Auto. Wie finanziert er das? Im einfachsten Fall in bar oder mithilfe eines Kredits einer US-amerikanischen Bank. Wenn er das Geld in bar hat oder auf dem Konto, ob nun durch das Ansammeln von Vermögen in der Vergangenheit oder durch Kreditaufnahme, dann kann er sich das deutsche Auto kaufen. Es ist überhaupt nicht notwendig, dass ihm irgend jemand aus Deutschland irgendwie Geld leiht.
Interessant wird es dann, wenn seine US-amerikanische Bank der Bank des deutschen Exporteurs die Kaufsumme überweist. Da deutsche Firmen ihre Güter und Dienstleistungen in den USA meist in US-Dollar verkaufen, so wie hier beispielsweise das iPhone auch in Euros verkauft wird, dann bekommt die Bank des deutschen Exporteurs den Kaufpreis in US-Dollar gutgeschrieben. Dadurch steigen die Forderungen der deutschen Inländer (dies beinhaltet Ausländer, die in Deutschland leben). Diese Forderung ist ein Einkommen, welches nicht verausgabt wurde, und wird daher in der Zahlungsbilanz als Ersparnis verzeichnet. Gleichzeitig hat ein US-Amerikaner "entspart", hat also seine Ausgaben erhöht bei gleichem Einkommen (der Kredit ist kein Einkommen). Auf der Ebene der Banken kommt es dann zur Frage, wie denn die Überweisung der einen Bank zur anderen finanziert wird. Überweist die US-amerikanische Bank der deutschen Zentralbankgeld auf das entsprechende Konto dieser Bank bei der US-amerikanischen Zentralbank? Stundet die deutsche Bank der US-amerikanischen die Zahlung gegen einen Zins? Wird die Zahlung mit einer anderen im Zahlungsausgleich am Ende des Tages verrechnet?
Diese Frage lässt sich an dieser Stelle nicht beantworten, wohl aber für die Vergangenheit. Glücklicherweise ist die Zahlungsbilanz eine Statistik, von daher wird bekannt sein, wie Leistungsbilanzungleichgewichte im Bankensystem finanziert worden sind. Die deutschen "Kapitalexporte" - ein fürchterlicher Begriff - bestehen also nicht nur aus Portfolioinvestitionen und ausländischen Direktinvestitionen, sondern vor allem erstmal unmittelbar aus einer Veränderung der Nettoforderungen gegenüber dem Ausland im internationalen Bankensystem. Wie das genau funktioniert ist in einem Artikel nicht unterzubringen, aber es bleibt festzuhalten, dass die "Kapitalexporte" eher etwas zu tun haben mit der Frage, was denn die Inländer so in ihrem Portfolio gerne haben wollen als mit der Frage, was mit dem Geld aus Leistungsbilanzüberschüssen passiert. Im Zweifelsfall wird der deutsche Automobilhersteller die US-Dollars in Euro tauschen, da er die Produktion ja in Euro finanziert hat. Der Verkäufer der Euros auf dem Devisenmarkt muss aber kein US-Amerikaner sein, was bedeutet, dass hier noch eine Partei aus einem dritten Land mit ins Spiel kommt.
Es bleibt also festzuhalten, dass Leistungsbilanzungleichgewichte nicht dadurch zustandekommen, dass deutsche Banken Kredite ans Ausland vergeben und die Bürger dort sich dann für Euros unsere Produkte kaufen. US-Amerikaner und auch andere Ausländer können einfach an Euros kommen und diese dann für deutsche Exporte ausgeben. Ein "Ersparnis" der Deutschen, die ins Ausland "exportiert" wird, ist eine unsinnige Denkfigur für diesen Teil der Zahlungsbilanz. Vielleicht haben Sie ja mal ein Auto aus Japan, Frankreich oder Italien gekauft? Wenn ja, haben Sie vorher einen Kredit aufgenommen von einem japanischen, französischen oder italienischen Sparer, direkt oder vermittelt durch dessen Bank? Ich denke nicht.
(Nachtrag: die aktuelle Ökonomik ist nicht ganz unschuldig an den oben beschriebenen Verwirrungen. In dem Lehrbuch "Internationale Wirtschaft" von Krugman/Melitz/Obstfeld, welches für viele Kurse in "Internationale Ökonomie" genutzt wird, heißt es in Auflage 9 auf S. 414-5: "Wenn ein Land mehr importiert als exportiert, kauft es mehr von Ausländern, als es ihnen im Gegenzug verkauft, und muss dieses Leistungsbilanzdefizit auf irgendeine Weise finanzieren." Diese Zweiteilung von Güterhandel und Geldwirtschaft ist typisch für neoklassische Ökonomik und verdeckt hier die wahren Zusammenhänge. Importe und damit Exporte sind nur dann welche, wenn sie finanziert werden. Insofern stellt sich die Frage nach der Finanzierung von Importen bei der Zahlungsbilanz gar nicht! Entweder sie sind finanziert und dann sind es Importe, oder halt nicht, aber dann wurde auch nichts importiert. Diese Zweiteilung des Lehrbuches führt meiner Meinung nach zu so viel Schaden, dass man besser komplett auf das Buch verzichtet und sich einfach mit anderen Texten und einem genauen Studium der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und der Zahlungsbilanz beschäftigt.)
Comments