In seiner Nikomachischen Ethik schreibt Aristoteles:
Daher muß alles, was untereinander ausgetauscht wird, gewissermaßen gleich den Zahlen addierbar sein, und dazu ist nun das Geld bestimmt, das sozusagen zu einer Mitte wird. Denn das Geld mißt alles und demnach auch den Überschuß und den Mangel; es dient also z. B. zur Berechnung, wie viel Schuhe einem Hause oder einem gewissen Maße von Lebensmitteln gleich kommen. Es kommen also nach Maßgabe des Verhältnisses eines Baumeisters zu einem Schuster so und so viel Schuhe auf ein Haus oder auf ein gewisses Maß von Lebensmitteln. Ohne solche Berechnung kann kein Austausch und keine Gemeinschaft sein. Die Berechnung ließe sich aber nicht anwenden, wenn nicht die fraglichen Werte in gewissem Sinne gleich wären. So muß denn für alles ein Eines als Maß bestehen, wie vorhin bemerkt worden ist. Dieses Eine ist in Wahrheit das Bedürfnis, das alles zusammenhält. Denn wenn die Menschen nichts bedürften oder nicht die gleichen Bedürfnisse hätten, so würde entweder kein Austausch sein oder kein gegenseitiger. Nun ist aber kraft Übereinkunft das Geld gleichsam Stellvertreter des Bedürfnisses geworden, und darum trägt es den Namen Nomisma (Geld), weil es seinen Wert nicht von Natur hat, sondern durch den Nomos, das Gesetz, und es bei uns steht, es zu verändern und außer Umlauf zu setzen.
1.
Festgehalten werden darf daher zunächst, dass Aristoteles ein Anhänger des Chartalismus war, wie sein Verweis auf die Herkunft des Namens „Geld“ – „Nomisma“ von „Nomos“ – Gesetz belegt (auch der Ausdruck Numismatik für Münzkunde hängt also mit der Idee gesetzlichen, also staatlichen, Geldes zusammen). Gesetzgebungsbefugnis und Geldemissionsbefugnis sind in seinen Augen identisch, was bezogen auf moderne Verhältnisse nur heißen kann, dass die Befugnis zur Geldemission oder ihre Kontrolle dem demokratisch gewählten Parlament zukommt. Dass dies tatsächlich so ist, erkennt der europäische Zeitgenosse allerdings lediglich daran, dass das Parlament von dieser Befugnis negativ Gebrauch gemacht hat: Mit Erklärung der politischen Unabhängigkeit der Zentralbanken in Euroland, also der Unabhängigkeit der Zentralbanken von sich selbst, haben die demokratisch gewählten Parlamente auf die Kontrolle der Geldemission verzichtet. Verzichten aber kann man nur auf etwas, was man hat - was zu beweisen war.
2.
Aus Aristoteles’ Verständnis des Bedürfnisses als Grundlage des Warenaustauschs ergibt sich, dass Nachfrage und Bedürfnis zirkuläre Begriffe sind. Aus der Tatsache des Warenaustauschs lässt sich auf ein beim Subjekt vorhandenes Motiv – das Bedürfnis – zurückschließen, dessen Erklärungswert sich seinerseits darauf beschränkt, die Tatsache des Warenaustauschs zu begründen.
Woher das Bedürfnis, also die Motivation der Nachfrage stammt, bleibt hingegen ungeklärt und ist nicht Gegenstand der Volkswirtschaftslehre. Die Nachfrage als autonome Größe – ebenso wie das autonome Bedürfnis – werden vielmehr als Prämissen vorausgesetzt.
Damit erspart sich der ökonomische Mainstream – die Neoklassik – das schwierige Terrain der Bewertung der sogenannten Bedürfnisse, die er den autonomen Individuen anhand eines anderen zirkulären Begriffs, des Nutzens, überlässt. Zwischen seinen vorhandenen Bedürfnissen entscheidet das autonome Individuum anhand des von ihm selbst wahrgenommen relativ größeren Nutzens der jeweiligen Wahl, den nur er selbst beurteilen kann. Vom Akt der Bedürfniserfüllung wird zurückgeschlossen auf einen relativ größten Nutzen, den niemand als das Individuum, das seine Bedürfnisse erfüllt, messen kann und der wiederum den Akt der Bedürfnisbefriedigung begründet. Die formale Form der Begründung ist erfüllt, eine sinnvolle – nichtzirkuläre - Begründung aber sähe anders aus – wenn es sie gäbe.
Davon sind die Vertreter der vernunftgemäßen Bedürfnisse überzeugt, die den wie gesehen eigentlich bedeutungsleeren Begriff wörtlich im Sinne von Bedarf oder Bedürftigkeit nehmen und die Bedürfnisse, wie sie in der Nachfrage ihren Ausdruck finden, nach ihrem moralischen oder ethischen Wert beurteilen wollen. Ohne einem vollständigen Relativismus das Wort zu reden, vermitteln auch die vermeintlich wahren Bedürfnisse nur eine Scheinerkenntnis. Denn so richtig es im Grundsatz sein mag, gewisse Grundsatzbedürfnisse des menschlichen Individuums anzunehmen – ihre konkrete Ausprägung ist stets kulturell vermittelt und darum alles andere als festgelegt. Das Bedürfnis nach Nahrung erklärt nicht die Nachfrage nach den unterschiedlichen Arten der Ernährung, geschweige denn regelrechte Essmoden. Eine echte Handhabe, Bedürfnisse nach ihrer Sinnhaftigkeit zu unterscheiden, gibt es deshalb außerhalb zentral verordneter Einschränkungen der Nachfrage nicht. Der Erkenntnisgewinn gegenüber dem tatsächlichen Phänomen der Nachfrage scheint daher auch für „vernünftige Bedürfnisse“ beschränkt.
3.
Mit seiner Trias Schuhe, Haus, Lebensmittel und ihrer gegenseitigen durch Geld vermittelten Vergleichbarkeit als notwendige Voraussetzung jedes Güteraustauschs in einer sich als Gesellschaft oder Gemeinschaft verstehenden Gruppe von Menschen vertritt Aristoteles die zutreffende These, dass eine arbeitsteilige Gesellschaft ohne Geld, also als reine Tauschgesellschaft, nicht möglich ist.
Wenn nämlich eine bestimmte Anzahl Schuhe sowohl in einem bestimmten Verhältnis zu einem Haus als auch in einem anderen bestimmten Verhältnis zu Lebensmitteln stehen sollen, so ist dies nur mit Hilfe des Geldes als gemeinsamen Maßstab möglich.
Denn Aristoteles Beispiel bedeutet, dass über den Preis der Schuhe im Verhältnis zum Preis des Hauses und zum Preis der Lebensmittel auch das Verhältnis des Preises der Lebensmittel zum Preis des Hauses determiniert ist.
Diese Homogenität des Preissystems – die Vergleichbarkeit aller in Geld ausgedrückter Güter – sieht Aristoteles als Voraussetzung einer arbeitsteiligen, güterproduzierenden Gesellschaft.
Gäbe es kein Geld, so bedeutete ein einmal punktuell ausgehandeltes Tauschverhältnis der Schuhe im Verhältnis zum Haus (falls es ein solches Tauschverhältnis überhaupt geben kann) und ein einmal punktuell ausgehandeltes Tauschverhältnis zwischen Schuhen und Lebensmitteln noch keineswegs, dass das Tauschverhältnis zwischen Lebensmitteln und Haus determiniert wäre, es sei denn, Lebensmittelhändler und Hausverkäufer einigten sich auf Schuhe und ihre jeweiligen punktuellen Geschäfte mit dem Schuster als Bewertungsgrundlage ihres eigenen Tauschverhältnisses. Warum aber sollten sie das tun, es sei denn, Schuhe seien das allgemein anerkannte Zahlungsmittel? Warum z.B. sollten nicht andere jeweilige Geschäfte mit Dritten als Maßstab herangezogen werden oder das Tauschverhältnis einfach – anhand welcher Maßstäbe auch immer und wenn eine solche Verhandlung ohne allgemeinen Maßstab überhaupt möglich wäre – frei ausgehandelt werden?
Auf Grund der Vielzahl möglicher Vergleichsgrundlagen – aller vorhandenen sonstigen Waren - oder dem Nichtvorhandensein eines allgemeinen Vergleichsmaßstabs ist der Güterfluss in einer reinen Tauschwirtschaft evident gehemmt, ja unmöglich. Niemand weiß sicher und kann sicher wissen, was seine Ware im Vergleich zu allen anderen wert ist, aller Austausch ist Zufall und Stochern im Nebel.
Im Geldsystem ist der relative Wert aller Waren anhand der avisierten Preise ersichtlich. Ob sich darin der wahre Wert einer Ware ausdrückt oder ob die Nachfrage einem wahren Bedürfnis entspricht, lässt sich nicht sagen.
Da diese Fragen aber – Aristoteles und Thomas von Aquin müssen einen Augenblick weghören - ohnehin nicht zu beantworten sind, ist ihr Ausblenden mit Hilfe der rein formalen Vergleichbarkeit auf Grund von Zahlenverhältnissen der in Geld bewerteten Güter der entscheidende Schritt zur arbeitsteiligen Gesellschaft.
Geld ist der Sieg der Zahlen über den Tiefsinn.
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