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Meinungsverschiedenheiten unter vernünftigen Menschen, Teil 5

Jeden Freitag veröffentlichen wir einen kurzen Beitrag von Randall Wray, der schrittweise eine umfassende Theorie aufbaut, wie Geld in souveränen Ländern "funktioniert". Die Beitragsserie entstammt der Einführung in die "Modern Monetary Theory" (MMT) von Randall Wray aus dem Jahre 2011 auf der Website „New Economic Perspectives“ und wurde von Michael Paetz und Robin Heber ins Deutsche übersetzt. Zudem wird Vorstandsmitglied Dirk Ehnts jeden Freitagabend von 19-20 Uhr auf Facebook Fragen zum Beitrag der Woche beantworten. Ihr könnt uns natürlich auch gerne Fragen über das Emailformular (unten auf dieser Seite) schicken.


Wir werden im März eine Pause einlegen und setzen diese Betragsreihe im April fort.


Wir setzen diese Woche unsere Auseinandersetzung mit den Kommentaren zum Beitrag „MMT für Österreicher“ fort.


Ein weiterer Vorwurf: MMT ignoriert Korruption in der Regierung


Carney behauptet: Es ist eine Schande, dass ein so brillanter Typ wie Wray nicht ganz versteht, dass die "öffentliche Hand" fast immer ein Code für private Interessen ist, denen man durch politische Macht Ausdruck verleiht.


Carney bezeichnet auch einige andere Menschen als „brillant". Daher bin ich mir nicht sicher, ob das als Kompliment oder als Beleidigung gemeint ist. Erkennt Wray, dass man privaten Interessen durch politische Macht Ausdruck verleiht? Ignoriert Wray, was in Washington vor sich ging, als die Bush-Clinton-Bush-Obama-Administrationen nicht nur Washington, sondern praktisch unsere gesamte Wirtschaft den Bankstern an der Wall Street überließen? Hat New Economic Perspectives die Probleme der Korruption völlig übersehen?


Es gibt nicht viele Ökonomen (und schon gar nicht die Pseudo-Ökonomen von MMR), die mehr über die Betrügereien der Wall Street und diesen Administrationen geschrieben haben, die im Wesentlichen das Finanzministerium sowie die Mitarbeiter des Weißen Hauses den Finanzinteressen überlassen haben. Und das ist keine neu entdeckte Sorge - ich habe auch über Betrug und die Beteiligung von Regierungsbeamten während der Savings &Loans-Krise geschrieben. (Zugegeben: Ich war viel zu skeptisch gegenüber der Reaktion von Bush Senior - ich wusste nicht, dass ein Mann namens Bill Black eine wichtige Rolle bei der Lösung dieser Krise spielen würde - er half, 1000 Gauner hinter Gitter zu bringen; im Vergleich zu Clinton und Obama kam Bush Senior relativ sauber aus dieser Krise heraus).


Und ich verstehe nicht, wie Bill "Kontrollbetrug" Black, einer der Hauptakteure von New Economic Perspectives, der quasi ein Buch über Bankbetrug geschrieben hat, als jemand charakterisiert werden kann, der nicht versteht, dass politische Interessen durch politische Macht zum Ausdruck gebracht werden. Glaubt Carney wirklich, dass wir alle unsere Skepsis an der Tür abgelegt haben, wenn wir für eine positive Rolle staatlicher Politik eintreten?


Um ehrlich zu sein, bin ich von einem Großteil der Politik der US-Bundesregierung seit den Tagen von Lyndon Baines Johnson (LBJ) enttäuscht und sogar entsetzt. Ich gebe zu, dass ich mich als Kind in JFKs Camelot-Ruf verliebt habe, und ich kann mich noch genau an den Moment erinnern, als der Nachbar in das Klassenzimmer meiner Schule platzte, um am Nachmittag des 22. November 1963 zu verkünden, dass JFK erschossen worden war (wir hatten kein Telefon, nicht einmal fließendes Wasser; und unsere Schulbücher waren herrlich veraltet, so dass wir uns keine Gedanken über den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegsentwicklung machen mussten - es gab nur 48 Staaten, die wir uns merken mussten, 7 bekannte Planeten, die wir lernen mussten, und 31 Namen von Präsidenten bis hin zu Hoover, die wir uns einprägen mussten). Während der größte Teil der Klasse jubelte (ein Teil davon war der folgenden Ankündigung geschuldet, dass wir nach Hause gehen sollten, aber der größte Teil war den kleinen Rick Santorums [Anm. der Red.: ehemaliger konservativer Senator] unter meinen Schulkollegen geschuldet), wurde meine eigene Welt erschüttert. Meine Familie war dann "ganz auf der Seite von LBJ", bis er den Krieg gegen Vietnam forcierte - und von da an war ich nie mehr überrascht über den Einfluss privater Interessen auf die öffentliche Hand. Der nächste Präsident war schließlich Tricky Dick - der den Krieg nach Hause brachte, um die eigene Jugend anzugreifen. Und danach ging es nur noch bergab. Damals hätte ich nie gedacht, dass ich einmal auf Tricky Dick als den wohl fortschrittlichsten Präsidenten des letzten halben Jahrhunderts zurückblicken würde. Schande über diejenigen, die ihm folgten.


Ein weiterer Vorwurf: Es gibt kein Gemeinwohl


Carneys Behauptung geht aber noch viel weiter - er lehnt den Begriff des Gemeinwohls ab und behauptet, dass der Beitrag der Regierung zum wirtschaftlichen Geschehen gegen Null tendiere.


Carney: Ich gehe davon aus, dass die meisten Staatsausgaben sozial destruktiv und ökonomisch schädlich sind, und fast alle diskretionären Staatsausgaben durch und durch korrupt sind, das scheint andere weniger zu stören. Meine "richtige Größe" der Regierung ist viel kleiner - fast verschwindend klein - als die solcher Menschen. (Hier ist Randall Wray, einer der führenden MMT-Akademiker, der argumentiert, dass die Regierung 30 Prozent des BIP ausgeben sollte! Gott bewahre uns!)


Ok, das klingt sehr nach Rick Santorum, Carney beruft sich auf die Religion, um uns vor diesen gottlosen MMT-Keynesianern zu retten, die eine große Regierung befürworten. Nun, in Wahrheit habe ich nie behauptet, dass die Regierung 30 % des BIP ausgeben "sollte". In meinem Artikel war das Argument, dass es überhaupt keinen Sinn macht, sich auf solche Verhältnisse zu konzentrieren. Stattdessen bat ich uns alle, auf den Tisch zu legen, was jeder von uns als sinnvolle Aktivitäten der Regierung betrachtet. Mein Hauptargument war, dass wir all die utopischen Programme der progressiven feuchten Träume haben könnten und es würde immer noch weniger als 30% des BIP ausmachen. Ich habe also genau das Gegenteil von dem behauptet, was Carney mir vorwirft - meine Zusammenfassung der Ausgaben sollte zeigen, dass wir immer noch eine relativ kleine Regierung hätten, zumindest im Vergleich zu der Größe der Regierung aller anderen entwickelten kapitalistischen Länder - selbst wenn wir die volle progressive Wunschliste umsetzen würden. Und ich wollte aufzeigen, wofür die Regierung tatsächlich Geld ausgibt, damit unsere österreichischen Freunde uns genau sagen können, welche Programme gestrichen werden müssten.


Leider antworten sie nur mit Handzeichen - genau wie die regierungsfeindlichen republikanischen Kandidaten, die sich weigern, uns zu sagen, was sie kürzen wollen. Sie machen dies wegen der sicheren Erkenntnis, dass ihre Ansichten fast keine Überschneidungen mit denen der amerikanischen Öffentlichkeit haben. Stattdessen argumentieren sie für eine "verschwindend kleine" Regierung, ohne uns zu sagen, was sie, wenn überhaupt, streichen würden und was sie, wenn überhaupt, beibehalten würden.


Carney: Für das Protokoll sollte ich sagen, dass ich viel libertärer bin als die MMR Jungs. Vielleicht bin ich ein Neo-MMR.


Ich möchte nochmals klarstellen: Vernünftige Menschen können unterschiedlicher Meinung sein - das war der Hauptpunkt meines Artikels "MMT für Österreicher". Die Libertären wollen eine viel kleinere Regierung. Ich habe kein Problem damit. Nur zu, legen Sie Ihre extreme Ideologie auf den Tisch. Listen Sie auf, welche Programme Sie unterstützen und lassen Sie uns diese zusammenzählen. Sagen Sie, was Sie streichen wollen. Sie werden von den 99% der Bevölkerung rundweg abgelehnt werden, sobald diese herausfinden können, auf wessen Seite sie stehen.


Aber Carney scheint noch extremer zu sein. Seine Forderung kommt der Behauptung nahe, dass es überhaupt keine Rolle für die Regierung gibt.


Carney: Was Brooks versteht und Wray übersehen hat, ist, dass die Prioritäten bei den Regierungsausgaben wirtschaftlich schädlich sind. Wenn Ressourcen "in die öffentliche Sphäre" verlagert werden, werden sie eher zur Verwirklichung politischer als "öffentlicher" Ziele eingesetzt. Das heißt, sie werden verwendet, um die Wünsche von bestimmten Gruppen zu befriedigen, die Gesetzgeber und Regulierungsbehörden beeinflussen. Diese Verständnislücke ist eine der Ursachen für die Entstehung der postmodernen monetären Theoriebewegung des modernen monetären Realismus.


Als ideologische Aussage habe ich kein Problem damit. Vernünftige Menschen können anderer Meinung sein. Es ist Carneys Überzeugung, dass die Regierung wirklich nichts Positives tun kann. Aber er fährt fort und verkündet, dies sei eine Tatsache, keine Ideologie:


Carney: Das ist keine Ideologie. Dies sind Schlussfolgerungen aus jahrzehntelanger Untersuchung der Arbeitsweise der Regierung. Wie ihr Jungs [Anm. der Red.: die MMTler] in anderen Zusammenhängen gerne sagt: Wir haben die Arbeit gemacht, damit ihr es nicht tun müsst. Lesen Sie das Buch von meinem Bruder.


Also, laut Carney zeigen jahrzehntelange Untersuchungen, dass "die Prioritäten der Regierungsausgaben wirtschaftlich schädlich sind".


In meinem Beitrag über „New Economic Perspectives“ hatte ich genau beschrieben, wofür die Regierung Geld ausgibt (über die wichtigsten Programme). Es gibt wirklich nur drei Hauptbereiche der Ausgaben, die groß genug sind, um bei einer Änderung das Gesamtbudget zu beeinflussen: Verteidigung, Medicare und Soziale Sicherheit. Wenn wir also über "Prioritäten" sprechen, müssen wir über diese Bereiche sprechen. In meinem Beitrag hatte ich mich für eine erhebliche Verkleinerung des Verteidigungssektors ausgesprochen (weil ich diesen sowohl wirtschaftlich als auch politisch und moralisch als schädlich ansehe) - wenn Carney also der Meinung ist, dass ich vergesse, dass die Ausgabenprioritäten "schädlich" sind, muss er sich offensichtlich auf Medicare und Soziale Sicherheit beziehen.


Glaubt Carney wirklich, dass die Gutschrift auf dem Bankkonto einer 90-jährigen Witwe, damit sie sich ein mehr oder weniger würdiges Leben von der Sozialversicherung leisten kann, "wirtschaftlich schädlich" ist? Wo ist der wirtschaftliche Beweis für diese Behauptung? Geht es um Anreize? Ohne Sozialversicherung hätte sie einen Anreiz zu arbeiten und wäre verfügbar - vielleicht bei Burger King? Oder bevorzugt er das Dritte-Welt-Modell: sie würde auf einer Decke sitzen, Kaugummis verkaufen und in Müllcontainern nach Essensresten suchen? Er würde die Anreize richtig setzen, indem er ihr die Sozialversicherungsleistungen streicht? Bitte, Carney, sagen Sie uns, in welcher Form die Sozialversicherungsleistungen die Wirtschaft schädigen und was Sie stattdessen tun würden.


Was ist mit den Menschen mit Behinderungen, die auch Sozialhilfe beziehen? Ich habe früher in Mexiko gelebt und kann mich an das "Sicherheitsnetz" für den Mann ohne Beine erinnern, der jeden Tag viel befahrene Straßen überqueren musste, um dorthin zu gelangen, wo er um Münzen bettelte. Das ist die Lösung des "freien Marktes" für Menschen mit Behinderungen. Ist das die Zukunft, die Carney für unsere Bürger sieht, die mit Behinderungen leben?


Oder ist es Medicare - die medizinische Versorgung für unsere Alten - die "wirtschaftlich schädlich" ist? Auf welche Weise? Und was wäre die bevorzugte und wirtschaftlich weniger schädliche Alternative? Das Bedürfnis nach Gesundheitsversorgung der unteren 99%, die sich keine Pflege leisten können, einfach ignorieren? Wenn sich eine 90-jährige Witwe ein Bein bricht, glauben Sie, dass es wirtschaftlich weniger schädlich wäre, sie einfach im Bett liegen und verkümmern zu lassen, anstatt ihr einen Gips anzulegen, damit sie Burger servieren kann, während sie sich erholt? Und wenn ein Programm wie Medicare so schädlich ist, wie kommt es dann, dass die Gesundheit in fast allen Ländern, die eine staatlich bezahlte allgemeine Gesundheitsversorgung haben, besser sind? Und auch der allgemeine Lebensstandard ist in den meisten von ihnen höher?


Carney fährt fort, offenbar um die Schlussfolgerung ein klein wenig abzuschwächen:


Carney: Aber weil dies Schlussfolgerungen sind, die aus jahrelangen Untersuchungen und Forschungen gezogen wurden, finde ich es nicht schlimm, dass Sie diese unplausibel finden (...) obwohl ich pragmatisch libertäre Lehren aus den Fakten über die Produktion öffentlicher Politik ziehe, gibt es andere mögliche Lehren, zu denen anständige Menschen kommen könnten. Selbst wenn die Staatsausgaben so schlecht sind, wie ich behaupte, können sie notwendig sein, um andere Dinge zu erreichen, die unbedingt notwendig sind. Zum Beispiel ist die Verteidigungsindustrie ein Skandal. Aber wenn wir überfallen würden oder von einer Invasion bedroht wären, würde ich es in Kauf nehmen, dass die Waffenhändler uns ausplündern, weil das der einzige Weg ist, genug Waffen zu bekommen, um das Land zu verteidigen.


Ich frage mich, ob Carney das noch ein bisschen weiter ausführen würde. Nehmen wir einmal an, dass jedes Regierungsprojekt der Korruption unterworfen ist. Carney ist bereit, etwas Korruption für die Verteidigung der Nation in Kauf zu nehmen. Würde er daraus die pragmatisch libertäre Lehre ziehen, dass es immer noch besser ist, ein Autobahnsystem zu haben, trotz der vermeintlichen Ineffizienzen der "Plünderung" durch Straßenbauarbeiter und -firmen?


Wie sieht es mit sauberem Wasser aus? Funktionierende Abwasserkanäle für Toilettenspülungen? Polizei? Öffentliche Schulen und Universitäten? Staatliche Unterstützung für Forschung und Entwicklung, die zur 747 geführt haben, zu Computern, zum Internet und zu Impfungen, welche die meisten der schlimmsten Kinderkrankheiten ausgerottet haben?


Würde er ein bisschen Ineffizienz und öffentliche Korruption als Kompromiss in Kauf nehmen, um Sicherheit in diesen Bereichen zu haben?


Kurz gesagt, all diese Dinge, die das Leben in den USA und allen anderen entwickelten Ländern von dem niedrigen Lebensstandard in den Entwicklungsländern mit den sehr kleinen Regierungen unterscheiden, die Carney bevorzugt? Oder würde er lieber auf all das verzichten, weil es dort etwas Korruption gibt?


Hat Carney all die Vorteile einer Regierung übersehen, die den Begriff des Gemeinwohls anerkennt und unterstützt, trotz all ihrer Fehler? Ist Carney nur bereit, die offensichtlichen Fehler eines - sagen wir - praktisch unregulierten Finanzsystems zu übersehen, das in nur vier kurzen Jahren zu größeren wirtschaftlichen Verlusten geführt hat als die Summe aller staatlichen "Ineffizienzen" der letzten Jahrhunderte?


Ich kenne kein Land, in dem das Publikum nicht gerne Horrorgeschichten über die Korruption der Regierung erzählt. Ich denke, diese Geschichten sind meistens wahr. Und dennoch haben die meisten Orte, die ich besuche, eine akzeptable öffentliche Infrastruktur und Dienstleistungen, die von einer "korrupten" Regierung bezahlt werden, die immer mit einer durch und durch korrupten kriminellen Klasse im privaten Sektor "unter einer Decke steckt".


Carney würde mit dem Finger auf die Regierung zeigen und es vorziehen, sie zu verkleinern - während er die Bereitstellung von Dienstleistungen und Infrastruktur einer großen Portion Glück und der Hoffnung überlässt, dass kleptokratische Gauner des Privatsektors von unsichtbaren Händen geleitet werden, um im öffentlichen Interesse zu handeln, während sie Gewinne für das private Interesse machen.


Doch für jeden Geithner, der öffentliches Geld in Banken des privaten Sektors schaufelt, gibt es ein Dutzend Blankfeins, die das Gemeinwohl untergraben. Es besteht kein Zweifel daran, dass es in jeder Verwaltung eine Drehtür gibt - alle Clinton-Obama-Spitzenleute kamen von der Wall Street und erwarten, mit höheren Einkommen zurückzukehren, da sie Onkel Sams Geld an ihre ehemaligen und zukünftigen Arbeitgeber weiterleiten werden. Ist es nicht ein wenig seltsam, dass Carneys Antwort darin besteht, die Regierung zu verkleinern oder praktisch abzuschaffen, anstatt die kleptokratischen Gauner zu verfolgen, die die öffentliche Ordnung untergraben?

Ich würde es vorziehen, mit dem Finger auf die Gauner sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor zu zeigen und sie dann ins Gefängnis zu stecken. Ich unterstütze weder die Kleptokraten noch die unsichtbare Hand, die annimmt, dass privates Interesse allein genug ist.


Wir werden im März eine Pause einlegen und setzen diese Betragsreihe im April fort.

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