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Warum Staatsverschuldung die zukünftigen Generationen nicht (finanziell) belastet


Die globale Finanzkrise, die im Jahr 2007 mit der „sub-prime crisis“ in den USA begann, jährt sich nächstes Jahr bereits zum zehnten Mal. Dies ist insbesondere für Europa kein Grund zum Feiern, denn in der Eurozone hat die Wirtschaft seitdem zuerst mit negativen und dann mit sehr niedrigen Wachstumsraten oder Stagnation zu kämpfen. Viele Länder haben das Niveau ihres Bruttoinlandprodukts von 2007 noch nicht oder nur knapp wieder erreicht.


Nach der Rezession ist vor der Rezession

Da die weltweiten Risiken für die Konjunktur zunehmen, kann eine erneute Abschwächung nicht ausgeschlossen werden. Würden die alten Regeln gelten, gibt es alle 6-9 Jahre eine konjunkturelle Abschwächung, also wäre sie langsam auch in Europa wieder fällig. Die letzte Rezession war die von 2008/09, wobei Europa es aufgrund einer verfehlten Geldpolitik – die EZB erhöhte den Zins vor Ende der Nachfrageschwäche – noch ein kleine Rezession in den Jahren 2011-2013 gab (Link). Danach hat auch die extreme Absenkung der Leitzinsen es nicht vermocht, die private Kreditvergabe und damit auch die private Verschuldung anzukurbeln. Investitionen, die zu zusätzlichen Einkommen führen und damit zu mehr Kaufkraft bei den Haushalten und Unternehmen, sind jedoch nicht induziert worden.


Das Versagen der Geldpolitik und die Rückkehr von Keynes

Folglich ist dieser Weg blockiert, da die Haushalte und Unternehmen ihre Verschuldung reduzieren wollen und nicht erhöhen. Das Lehrbuch in Makroökonomie sagt für diesen Fall der Unwirksamkeit von Geldpolitik, dass die Fiskalpolitik einspringen sollte. Der Staat gibt mehr aus, verschuldet sich also, und dadurch entstehen bei Haushalten und Unternehmen mehr Einkommen und damit auch mehr Profite. Inzwischen argumentiert selbst das wirtschaftsliberale britische Magazin „The Economist“ (Link) in diese Richtung:


„When the next downturn comes, this kind of fiscal ammunition will be desperately needed. Only a small share of public spending needs to be affected for fiscal policy to be an effective recession-fighting weapon. Rather than blaming central bankers for the low-rate world, it is time for governments to help them.“ (Bei der nächsten Krise soll also fiskalische Munition zum Einsatz kommen. Selbst eine geringe Erhöhung von Staatsausgaben kann eine effektive Waffe bei der Bekämpfung von Rezessionen sein. Anstatt die Zentralbanker für eine Niedrigzinswelt zu verurteilen sollten die Regierungen ihnen nun helfen.)


Der deutsche Sonderweg: die Quellen

Was in den meisten Ländern und auch in deutschen Makroökonomie-Lehrbüchern Konsens ist, wird allerdings in Deutschland heftig bestritten. Höhere Staatsverschuldung, so wird behauptet, würde zukünftige Generationen belasten. Diese Aussage wird ständig wiederholt, oft auch von Laien, ab und an von Fachleuten oder welchen, die dazu erklärt werden. Auch die staatlichen Organe übernehmen diese Idee. Eine kleine Auswahl soll dies belegen.


Die Initiative neue soziale Marktwirtschaft (INSM) schreibt in einem Positionspapier (Link):


„Je mehr Schulden ein Land hat, umso mehr Steuergelder müssen für Tilgung und Zinszahlungen aufgebracht werden. Schon heute ist der Schuldendienst der drittgrößte Posten im Bundeshaushalt und verschlingt über 12 Prozent des Jahreshaushalts des Bundes. Geld, das an anderer Stelle fehlt. Für die eigentlichen Kernaufgaben des Staates, wie Bildung und Infrastruktur, bleibt immer weniger Geld übrig.“


Kardinal Dr. Reinhard Marx (Link) äußert sich ganz ähnlich:


„Jede Generation schließt an das Erbe an, das ihre Vorgänger hinterlassen haben: Wir leben aus Überliefertem, mehr als uns oft bewusst ist. Jede Generation übernimmt das Kapital, aber auch die Schulden der vorhergehenden.“


Die Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) schreibt in ihrem „Themenblatt im Unterricht /Nr. 82“ unter dem Titel „Staatsverschuldung – unvermeidbar und gefährlich?“ (Link):


„Zwei Folgen müssen mithilfe von Zusatzmaterial selbst formuliert werden. Die Kernaussage der Karikatur (Arbeitsblatt B, Abb. 2) ist leicht zu finden: Hohe Staatsverschuldung verschiebt die Lasten auf künftige Generationen. Anspruchsvoller ist die Auswertung des Liniendiagramms (Arbeitsblatt B, M3): Aufgrund des steigenden Anteils der Zinsausgaben fehlt Geld für zukunftswirksame Investitionen. Die Handlungsfähigkeit des Staates wird durch eine steigende Zins-Steuer-Quote zunehmend eingeschränkt.“


Diese Aussagen sind schlichtweg falsch. Sie entbehren jeder Logik und können durch ein bisschen Nachdenken leicht entkräftet werden. Dadurch, dass sie ständig wiederholt werden, werden sie kein bisschen besser.


Der deutsche Sonderweg: ein Irrweg

Die Bundeszentrale für politische Bildung beispielsweise vergisst, dass wir nicht nur die Staatsverschuldung vererben, sondern auch die Staatsanleihen. Damit wird also der zukünftigen Generation nicht nur die Verschuldung „aufgedrückt“, sondern auch das Vermögen der vorherigen Generation! Da jeder Euro an Staatsverschuldung durch einen Euro an Staatsanleihe gedeckt ist, schulden „wir“ uns netto also nichts! Innerhalb jeder Generation gibt es für einen Euro Staatsschulden auch einen Euro an Staatsanleihen.


Die Staatsverschuldung als solche verändert womöglich allerdings die Einkommensverteilung, denn die Steuerzahler haben unter Umständen weniger und die Besitzer der Staatsanleihen haben mehr Einkommen. Dies gilt jedenfalls für den Fall positiver Zinsen, die wir aktuell bei Staatsanleihen nur noch bei sehr, sehr langen Laufzeiten haben. Allerdings sagt auch das nichts über die gesamte Verteilungswirkung von Staatsverschuldung aus, die kann trotzdem positiv sein, je nachdem, was der Staat mit dem auf dem Kapitalmarkt aufgenommenen Geld gemacht hat. Hat er damit Arbeitsplätze geschaffen oder die Sozialleistungen erhöht, überlagert das die negative Verteilungswirkung positiver Zinsen.


Auch Kardinal Marx erkennt nicht, dass wir – neben Schulden und Kapital – auch die Staatsanleihen vererben. Ohne diese würde ja keine Staatsverschuldung bestehen, denn wir wüssten gar nicht, an wen wir wie viel zahlen müssten! Eine Staatsanleihe im Besitz eines Haushalts ist für diesen Teil seines Vermögens und für den Staat Schulden. Das sind zwei Seiten einer Medaille, die man nicht trennen darf.


Die INSM argumentiert, dass höhere Zinszahlungen die Investitionen des Staates einschränken. Dies tun sie aber nur, wenn der Staat seine Ausgaben nicht erhöhen kann. Während dies in der Eurozone eventuell der Fall gewesen sein mag, weil Regierungen die Maastricht-Regeln für Neuverschuldung nicht brechen wollten (<3% vom BIP), ist es anderswo klar, dass sich Regierungen von der Zentralbank direkt oder indirekt immer wieder neues Geld besorgen können. Dabei schöpft die Regierung neue Staatsanleihen und die Zentralbank nimmt diese dann entgegen und stellt Geld zur Verfügung. In der Eurozone ist es etwas komplizierter, weil die Banken als Mittelsmann zwischengeschaltet sind, aber im Endeffekt leiht sich auch hier die jeweilige Regierung via Bankensektor Geld von der EZB. Solange Mario Draghi und die EZB den Euro „rettet“ besteht folglich niemals ein Insolvenzrisiko, so dass faktisch auch in der Eurozone alle Regierungen ohne Probleme ihre Ausgaben erhöhen können, von Griechenland einmal abgesehen (deren Staatsanleihen kauft die EZB nicht auf).


Von Staatsausgaben profitieren zukünftige Generationen

Wir halten also fest: zusätzliche Staatsanleihen belasten zukünftige Generationen nicht. Ob sie eine Umverteilungswirkung haben, hängt davon ab, wie der Staat das Geld verwendet. Gleichzeitig werden mit den Staatsausgaben aber sinnvolle Projekte finanziert, für welche die zukünftigen Generationen sicherlich insgesamt sehr dankbar sein werden: ein kostenloses Bildungswesen, Polizei und Justiz, Verkehrsinfrastruktur, ein bezahlbares Gesundheitswesen, usw. Davon profitieren in großem Maße auch die Unternehmen. Der ein oder andere negative Fall (Hauptstadt-Flughafen, Stuttgart 21) ist zwar ärgerlich, fällt in der historischen Sicht aber nicht groß ins Gewicht.

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